Atme.
Es geht mir gut. Und doch nicht ganz. Ich lebe in Bonn - und hier ist bis auf etwas Rheinhochwasser, das über Ufer schwappt, „alles gut“.
Um mich herum gibt es gerade durch Unwetter viel Zerstörung. Die Bilder und Berichte gehen mir sehr nah.
Erftstadt war meine erste Station, als ich ins Rheinland kam. Dort habe ich einige Jahre gelebt und gearbeitet und verbinde damit viele Erinnerungen. Durch eine Honorartätigkeit in einer Transfergesellschaft war ich in den letzten Jahren immer wieder auch in der Eifel. Aktuell gibt es einen Standort in Gemünd, der im Erdgeschoss meterhoch unter Wasser stand. Einem Transfermitarbeiter, den ich berate, wurde das Auto weggespült. Überall gibt es Chaos. Die Wirtschaftsstudentin, die seit Anfang letzter Woche ein Praktikum bei mir macht, lebt in Rheinbach. Auch sie hat Glück im Unglück gehabt, nur der Strom fehlt und die Erreichbarkeit. Und schon die Tatsache, dass man dies als gute Nachrichten werten kann, zeigt, wie viel schlimmer es andere Menschen und Orte in der Region getroffen hat.
Die vielen Menschen, die Angehörige oder Existenz verloren haben, die Zerstörung - das macht fassungslos und hilflos. Mich berührt und beschäftigt das. Ich versuche auf verschiedenen Wegen zu helfen, das sollten wir alle tun. Und trotzdem habe ich, wie viele, das Gefühl, nicht genug tun zu können. Auch das belastet, wobei ich weiß, es ist kein Vergleich mit dem, was andere durchmachen. Und ich weiß auch, vergleichen ist nie hilfreich, und wenn es um Gefühle geht, nochmal weniger.
Trotz allem hatte ich letzte Woche auch Coaching-Termine. Termine, die mir auch wichtig sind. Klienten, die meine Aufmerksamkeit verdient haben. Trotz allem, was mich durch die aktuellen Ereignisse beschäftigt.
Was mir dann hilft?
Ich nehme mir einige Minuten vor dem Termin und fokussiere mich bewusst. Ich starte damit, mir die Unterlagen noch einmal durchzuschauen - das mache ich immer.
Was ich letzte Woche zudem gemacht habe?
Ich atme bewusst, beruhigend und zentrierend. Langsames Einatmen und Ausatmen. Ein - aus - ein - aus. Es kann auch helfen, dabei kurz die Augen zu schließen. Es kann auch helfen, auf 4 zählend einzuatmen, und auf 6 oder 8 zählend auszuatmen. Ich komme in mir, im Hier und Jetzt an. Ich weiß, dass für die Zeit des Coachings meine Aufmerksamkeit genau beim Coaching ist. Wenn ich coache, coache ich.
In dem Moment, in dem ich coache, kann ich ohnehin nichts anderes tun. Ich kann nichts Vergangenes oder Zukünftiges ändern. Ich helfe in dem Moment niemandem, wenn meine Gedanken abschweifen. Ich schaffe mir also einen gedanklichen Raum, in dem für die nächsten Momente mein Klient, sein Anliegen und ich Platz finden.
Ich weiß, dass viele mit Aufräumarbeiten beschäftigt sind und dass auf den ersten Blick eine Atemübung das Letzte ist, was gebraucht wird. Aber all das wird ein Dauerlauf und kein Sprint. Und es braucht auch in ein paar Tagen und Wochen noch Atem. Ob du selbst betroffen bist, direkt oder indirekt, und/oder ob es dich diese Krise oder eine andere indirekt betrifft und beschäftigt - nimm dir täglich einen Moment, um langsam und bewusst zu atmen. Nimm dir ein paar langsame und tiefe Atemzüge, immer wenn du dich überfordert fühlst. Das bringt Entspannung in Körper, Geist und Seele. Und das ist auch wichtig, um durchzuhalten und bei Kräften zu bleiben.
Ich werden in der nächsten Zeit hier Infos und Tipps posten, die vielleicht auch ein kleines Stück helfen können. Infos zum Umgang mit Krisen, traumatischen Erlebnissen, Veränderungen. Das hilft nicht gegen zerstörte Existenzen und Orte. Das kann keinen Menschen wiederbringen oder körperliche Verletzungen heilen. Aber es gibt auch seelische Verletzungen. Und die werden in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten deutlicher werden. Vielleicht kann ich also damit auch ein kleines bisschen helfen, seelische Folgen zu lindern.
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